Lorke, Annette: Seelische Auswirkungen des Nationalsozialismus


Lorke, Annette: Seelische Auswirkungen des Nationalsozialismus – ein Thema für Berater und Beraterinnen der Ehe-, Familien- und Lebensberatung? Münster 2013. PDF-Datei.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

ISBN 978-3-00-042386-4

Veröffentlicht im Eigenverlag als PDF-Datei zum Download auf der Homepage des Dachau Instituts Psychologie und Pädagogik

Copyright © 2013 by Annette Lorke

Im Jahr 2011 arbeiteten im Bistum Münster 133 Berater und Beraterinnen in 36 Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen. Durch eine schriftlich durchgeführte Umfrage unter den Kollegen und Kolleginnen hat die Autorin herauszufinden versucht, inwieweit ein Erinnern und Reflektieren des Nationalsozialsozialismus und eine Auseinandersetzung mit seelischen Auswirkungen der NS-Zeit in der Beratungsarbeit bei Ratsuchenden und Beratenden vorkommen. Der Befragung lag die Hypothese zugrunde, dass der beraterische Blick auf eine mögliche transgenerationale Weitergabe aus nationalsozialistischer Zeit im Beratungssetting wahrscheinlich von den mehr oder weniger bewussten, eigenen Vorstellungen und Ideen über sowie der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg abhängen könnte.

Einen Rahmen für die Entwicklung des Fragebogens bildete die Beschäftigung mit der Geschichte der psychosozialen Auseinandersetzung seit Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bis in die heutige Zeit. Dadurch stellte die Autorin fest, dass in den ersten 20 Jahren nach Kriegsende eine psychosoziale Aufarbeitung nicht stattgefunden hat, sondern bis auf sehr wenige Ausnahmen alle in Frage kommenden Fachdisziplinen und gesellschaftlichen Institutionen Folgen der NS-Zeit verdrängt und verleugnet haben. Erst Mitte der 1960er Jahre setzt ein langsamer Durcharbeitungsprozess ein, der mit Publikationen zu den psychischen Auswirkungen der Shoah für ehemalige KZ-Häftlinge und ihre Nachkommen begonnen hat. Täter und Mitläufer und die Folgen für ihre Nachkommen spielen erst viel später, nämlich erst seit Mitte der 1980er Jahre in der Forschung eine Rolle. Mit einer weiteren Zeitverzögerung kommen seit Mitte der 1990er Jahre die Auswirkungen des Weltkrieges für die Kriegsgeneration und ihre Nachkommen in den Blick. Ein entscheidendes Datum, das die Notwendigkeit für ein Intensivieren einer kollektiven Durcharbeitung aufgezeigt hat, war die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nach dem Mauerfall 1989.

Bei der Entwicklung der Umfrage dienten folgende Überlegungen als Leitfaden:

Forscher aus verschiedenen Fachgebieten arbeiten seit gut zwei Jahrzehnten die Bedeutung von transgenerationalen Prozessen vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus heraus und beschreiben das Wissen in Fachkreisen dazu. Haben Berater/innen diese Erkenntnisse rezipiert? Sind sie sich im Beratungsprozess der möglichen Formen und Auswirkungen transgenerationaler Identifizierungsprozesse vor dem nationalsozialistischen Hintergrund bewusst? Wenn ja, wie setzen Berater/innen ihr diesbezügliches Wissen in der Beratung ein und generieren bei Klient/en/innen möglicherweise neue Erkenntnisse zu transgenerationalen Auswirkungen aus Nationalsozialismus und Krieg auf z. B. Partnerschaft und Kindererziehung?

Im Vorfeld der Befragung waren Unterschiede in kollegialen Gesprächen im Umgang mit dem Thema wahrnehmbar. Gespräche, so die Beobachtung, hatten eine andere Qualität, wenn Kollegen und Kolleginnen erzählten, die sich aus eigener Familienhistorie heraus intensiver mit seelischen Auswirkungen, z. B. aufgrund der Erfahrung mit damals desertierenden Angehörigen, Verlust von Vater oder Großvater durch den Krieg oder familiär tradierten oder verschwiegenen Erlebnissen von Kriegsfront, Vertreibung und Bombadierung befasst hatten. Genau diese Kollegen und Kolleginnen hatten davon berichtet, dass sie auch in der Beratung einen Blick auf mögliche Formen seelischer Auswirkungen aus der damaligen Zeit haben. Daraus ergab sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen eigener Aufarbeitung der NS-Familiengeschichte und Aufgriff der NS-Zeit in der Beratungspraxis bestehe, oder ob das nur ein zufälliger Eindruck sei.

Allgemeiner sollte der Fragebogen erheben, welche Assoziationen Berater/innen zum Einfluss des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs auf die heutige Zeit haben und den seelischen Folgen für sich selbst und ihre Klient/en/innen.

Aufgrund des nationalsozialistischen Genozids bestand beim Fragebogendesign das Problem des Umgangs mit möglicher Abwehr und Verdrängung angesichts von Schuld und Scham, die bei einer Beschäftigung mit der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus auftreten können. Dies galt es bei der Auswertung der Befragung mit zu berücksichtigen. Als ein Ergebnis lässt sich dazu feststellen, dass es blinde Flecken im Beratungskontext bezüglich einer so genannten Täterhaftigkeit gibt.

Ein weiteres Befragungsergebnis betrifft die Themen, die die nationalsozialistische Zeit betreffen und im Beratungssetting zur Sprache kommen. Von sieben vorgegebenen Themenkomplexen war der Komplex „Flucht und Vertreibung“ die mit Abstand am meisten genannte Thematik.

Am Ende des Fragebogens wurden die Berater und Beraterinnen gebeten, einen Rat für zukünftige Kolleg/en/innen bezüglich des NS-Themas zu geben. Die Antworten lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass Genogrammarbeit, Sensibilität, das genaue Hinschauen oder Hinhören und das aktive Nachfragen bei Klienten und Klientinnen in Bezug auf die NS-Zeit sich in der Beratungspraxis lohnen könnten.

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