Zur Gewaltausübung ehemaliger NS-Täter gegenüber ihren Kindern
Jürgen Müller-Hohagen
Viele NS-Täter und Tatbeteiligte haben weitergemacht nach 1945, weitergemacht dort, wo es gefahrlos ging, nämlich besonders im Schoß der Familie. Dies ist hinter Mauern von Tabus verborgen.
In der Fachliteratur werden manchmal KZ-Erfahrungen und solche des sexuellen Missbrauchs nebeneinandergestellt wegen verschiedener Ähnlichkeiten. Wieweit das zutrifft oder ob nicht doch damit – zumindest teilweise – auch noch verharmlost wird, lasse ich dahingestellt.
Aufgrund einer ganzen Reihe konkreter Erfahrungen behaupte ich jedenfalls einen direkten Übergang zwischen beidem, zwischen politischer und familiärer Gewalt. Ich behaupte es, ohne natürlich aus meiner spezifischen Forschungsperspektive heraus Angaben über die Häufigkeit machen zu können, sondern ich sage nur, dies aber mit großer Sicherheit: Ein solcher Übergang zwischen politischer und familiärer Gewalt ist sehr viel öfter vorgekommen, als wir es allgemein für möglich halten.
Dass ich Kontinuitäten der Gewalt besonders oft beim sexuellem Missbrauch begegnet bin, liegt vermutlich nicht zuletzt an der mittlerweile eingetretenen Lockerung des Wahrnehmungstabus bezüglich dieses Verbrechens und seiner Folgen, heißt also nicht, dass NS-Gewalt sich nur hier fortgesetzt hätte. Vielmehr habe ich auch verschiedene Hinweise etwa in Richtung auf direkten oder verdeckten Raub von Kindern, auf Vernachlässigen behinderter Menschen, existentielles Gefährden anderer und bis hin zu geplantem Mord. Noch einmal: Zahlen kann ich nicht vorlegen, und sie werden sich wohl selbst mit großen Forschungsanstrengungen kaum eruieren lassen, doch rechnen sollten wir mehr als bislang mit solchen Zusammenhängen ganz konkreter Art.